FRIEDER HOFMANN I POSITIONEN I PUBLIKATIONEN I PROJEKTE

Erinnerungen an die Zukunft: Aus-und Weiterbildung von Architekten in der DDR

Auszug aus: F. Hofmann "Die Besten in den Osten" - Erinnerungen 2002-13 / F. Hofmann 2015

Studium frei – Arbeitsplatz gesichert.

Während eines Gesprächs in der Uni Leipzig wurde ich gefragt, wie ich mein sicher sehr teures Auslandsstudium finanziert hätte. Ich antwortete, dass Studienleistungen in der DDR vom Staat bezahlt worden wären, hatte aber das Gefühl, dass mir das die anwesenden Studenten nicht so richtig glauben wollten. Und doch war es so, allerdings erwartete man von uns Absolventen einige „Gegenleistungen“, wenn man Loyalität zum Arbeiter- und Bauernstaat und Leistungsbereitschaft im Beruf als solche bezeichnen will. Dazu gehörte auch die Verpflichtung, nach dem Studium einen nach wirtschaftlichen Erfordernissen zugewiesenen Arbeitsplatz zu akzeptieren und ihn frühestens nach Ablauf von drei Jahren zu kündigen. Dafür übernahm der Staat (in unserem Fall das DDR-Ministerium für Bauwesen) die Fortbildung seiner Nachwuchskader (wie man uns nannte) und die Vorbereitung auf ihren zukünftigen Arbeitsplatz. Wie mir schien, war das eine gerechte Bedingung, um die Investition in unsere Ausbildung möglichst schnell durch gute berufliche Leistungen amortisieren zu können. 
Zu Beginn unseres Studiums schlossen unsere späteren Einsatzbetriebe mit uns Förderungsverträge, in denen sich die Betriebe verpflichteten, uns frühzeitig mit unseren zukünftigen Tätigkeitsfeldern bekannt zu machen. Vor dem Diplom wurden die Verträge in feste Arbeitsverträge übergeleitet und uns damit ein Arbeitsplatz garantiert. Neben der Möglichkeit, Vordiplom-Praktika durchzuführen erhielten wir praxisbezogene Diplom-Themen, die nach dem Studienabschluss idealerweise zu unseren ersten Planungsaufgaben wurden. Heute bin ich überzeugt, dass ich das o.g. staatliche „Darlehen“ durch mein Wirken als Architekt in den Baukombinaten der DDR ehrlich mit Heller und Pfennig zurückgezahlt habe.

Die Denkfabrik am „Kalten Hügel“

Schon während des Studiums wurden wir in den Semesterferien regelmäßig zu Fachberatungen eingeladen, die an den Brennpunkten des Baugeschehens der DDR stattfanden. So erinnere ich mich an eine Fachberatung in Apolda im Sommer 1969, während der wir (nach einer heißen Nacht im Studentenklub der Apoldaer Bauingenieurschule) ein neues Plattenwerk in Jena-Göschwitz besichtigten und mit dem Jenaer Stadtarchitekten das neue Modell zum Umbau des Jenaer Stadtzentrums diskutierten.
Nach dem Studienabschluss übernahm das Weiterbildungsinstitut (WBI) an der Hochschule für Architektur und Bauwesen (HAB) Weimar meine Weiterbildung (zuerst als Nachwuchskader, danach im Weiterbildungskurs der Chefarchitekten der Baukombinate der DDR). Diese Schulungen fanden regelmäßig in Naumburg statt, wobei sich das Tagesprogramm aus Vorträgen von Kursteilnehmern und Gastdozenten, Seminaren und Exkursionen zu Baustellen in ausgewählte Bezirksstädte zusammensetzte. Für den angesetzten Zeitraum von 14 Tagen wurden die Teilnehmer von ihren Betrieben freigestellt. Tagungsort war das sogar für damalige Verhältnisse spartanisch ausgestattete Schulungsheim „Am kalten Hügel“ (eine spaßhafte Bezeichnung der Ortskundigen). Das Objekt lag in einer Kleingartenanlage am Stadtrand und verfügte über eine eigene Freifläche, auf der man sich in den Tagungspausen und am Abend erholen und bei Bedarf Tischtennis bzw. Volleyball spielen konnte. Es ist nicht verwunderlich, dass die Kursteilnehmer ihren Aufenthalt am „Kalten Hügel“ auch als Erholung vom beruflichen Alltag betrachteten und nutzten.
Wie ich als Neuling in dieser Runde schnell feststellte, schätzte man am „Kalten Hügel“ ein offenes und kritisches Diskussionsklima. Es gab keine „Tabus“, so dass die Kursteilnehmer nebenbei detaillierte Informationen über den Entwicklungsstand in anderen Bezirken und Kombinaten mitnehmen konnten. Meine erste Einladung nach Naumburg verdanke ich dem Chef des WBI Prof. Werner Strassenmeier, der mir vorschlug, die Thesen meiner Dissertation im o.g. Kreis der Chefarchitekten der Baukombinate vorzustellen. Für mich war das eine gute Gelegenheit, meinen fachlichen Standpunkt nicht nur vor diesem praxiserfahrenen Fachpublikum zu vertreten, sondern auch sowjetische Erfahrungen bei der computergestützten Gebäudeplanung vorzustellen, die in der DDR mangels computertechnischer Basis bis dato noch unbekannt waren.

In der Diskussion ging es allerdings um sehr viel mehr, denn es war inzwischen ein offenes Geheimnis, dass sich die Typenbauten des Massenwohnungsbaus, für das Bauen auf der „Grünen Wiese“ konzipiert, nicht unter schwierigen städtebaulichen Bedingungen einsetzen ließen. Zu uniform, zu sperrig, zu hässlich, lautete die Kritik. Unter dem Slogan „Masse statt Klasse“ war es zwar darum gegangen, die Wohnungsfrage bis 1990 zu lösen, jedoch hatte man dabei gleichzeitig die gestalterischen Mittel auf ein Minimum reduziert und die Architekten zu reinen „Erfüllungsgehilfen“ der Bauindustrie degradiert. Mit zunehmendem Anspruch, die verfallenden Innenstädte sanieren und mit anspruchsvollen Neubauten nachrüsten zu müssen, stand die Korrektur dieser Fehlentwicklung zur Debatte. Aus der komplexen Sicht des Architekten betrachtet war es dazu in erster Linie erforderlich, das ingenieurtechnische Instrumentarium der WBS 70 komplett auf den Prüfstand zu stellen. 
Geschult an Moskauer und Rostocker Maßstäben (die Rostocker Architektenschaft und ihre Bauten waren in der DDR als beispielgebend für die Durchsetzung eigenwilliger städtebaulicher und baukünstlerischer Ideen bekannt) sah ich dabei keine Probleme, sondern durchaus gangbare Lösungen. In Leipzig, das in dieser Hinsicht als äußerst konservativ galt, musste ich mir die entsprechenden Entscheidungs-Freiräume jedoch erst erkämpfen.

Ein Bausystem-Vergleich 

Ich bin mehrfach gefragt worden, ob und wie wir beruflich auf internationale Erfahrungen zurückgreifen konnten. Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, weil die materiell-technischen und organisatorischen Bedingungen für das architektonische Schaffen in der DDR nicht mit denen der marktwirtschaftlichen Strukturen im Westen vergleichbar waren. Auch unterschieden sich die in den osteuropäischen Ländern angewandten Typenbauweisen in technologischer Hinsicht wesentlich von der DDR-typischen WBS 70.

Natürlich wurde in den 80er Jahren auch hierzulande mit den verfügbaren Mitteln versucht, architektonische Trends wie die Postmoderne nachzuvollziehen. Dabei blieb es aber bei vereinzelten Sonderlösungen, weil die totale Abkehr vom Typenbau die Möglichkeiten der Bauindustrie wohl überfordert und den Massenwohnungsbau wahrscheinlich zum Stillstand gebracht hätte (leider ist das unter den heutigen marktwirtschaftlichen Bedingungen nicht viel anders, denn der Drang nach maximalen Renditen im Wohnungsneubau veranlasst viele private Investoren, sich von lästigen städtebaulich-architektonischen Prämissen zu verabschieden und die Innenstädte durch maßstabslose Kisten mit weißen Rasterfassaden und „Schubladen-Balkonen“ zu verunstalten).

Zum Ende der 80er Jahre erlebte ich den (zumindest theoretischen) Versuch, die „Platte“ funktional variabler und architektonisch ansprechender zu gestalten, ohne die sozialen Aspekte des Wohnungsbaus zu vernachlässigen. Dazu fand an der HAB Weimar ein Entwurfsseminar unter dem etwas sperrigen Titel „Individualisierung des industriellen Wohnungsbaus“ statt, bei dem unter der Leitung des HAB-Professors Kurt Lembcke niederländische, österreichische Architekten und interessierte Baufachleute aus DDR-Wirtschaft und Forschung in gemischten Arbeitsgruppen nach Wegen für die Zukunft des DDR-Wohnungsbaus suchten. Neben variablen Systemlösungen für das industrielle Bauen ging es dort auch um Erfahrungen der Kollegen aus dem Westen, funktionale und gestalterische Bauherren- und Nutzerwünsche umfangreicher und individueller in die Planung und Vorbereitung von Bauvorhaben einzubeziehen.

Mit der „Wende“ kam das Ende

Mit dem Ende der DDR wurde auch das WBI abgewickelt. Ohne Zweifel war das ein Verlust, denn auf dem Weg vom „Wir“ zum „Ich“ (dass der Architekt in der Marktwirtschaft ein Einzelkämpfer ist, war uns schon damals bekannt) bestand ein dringender Bedarf an einem Weiterbildungsinstitut, das uns mit seiner Kenntnis der Ost-Befindlichkeiten einen sicheren Weg durch den Wirrwar neuer Gesetze, Planungsdetails, Verfahren und Baustoffe gewiesen hätte. Denn: Die schnelle Beherrschung dieser Rahmenbedingungen, nicht zuletzt der kaufmännischen Seite des Bauens sollte sich mehr und mehr als Konkurrenzproblem zu den auf den Ost-Markt drängenden westdeutschen Unternehmen und ihren Planern erweisen. Architekten aus dem Westen, die in dieser Zeit ihre Erfahrungen hilfreich und uneigennützig mit uns teilten, aber auch professionelle Fortbildungsgesellschaften aus dem Westen kannten eben oft nur ihre eigene Seite der Medaille. Und so galten die von den Westmedien diskriminierten ostdeutschen Architekten bei den (zu dieser Zeit in der Regel westdeutschen) Bauherren meist nur als zweite Wahl. 
Wer allerdings am Rande seiner eigenen Existenzsorgen mitbekam, wie eine beispiellose Evaluierungswelle in den DDR-Hochschulen alles beiseite räumte, was von westlichen Leihbeamten nur annähernd als „staatstragend“ eingestuft wurde, verstand selbst, dass das WBI unter diesen Bedingungen keine Überlebenschancen besaß. 

Dr.-Ing. Architekt Frieder Hofmann 
gpfhofmann@parus-le.de    

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Aktualisierung: Januar 2024 

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