FRIEDER HOFMANN I POSITIONEN I PUBLIKATIONEN I PROJEKTE

Orgeln für St. Petersburg

Auszug aus: F. Hofmann "Die Besten in den Osten" - Erinnerungen 2002-13 / F. Hofmann 2015

Wie man in Russland trotz aller Schwierigkeiten durch gemeinsame Anstrengungen zum Erfolg kommen kann, zeigt das Engagement der Bautzener Firma „Hermann Eule Orgelbau“ GmbH in St. Petersburg. Die Firma „Eule“, ein traditionsreiches und international renommiertes Familienunternehmen, hatte den Auftrag erhalten, eine historische Walcker-Orgel der St. Petersburger staatlichen akademischen Kapella zu restaurieren. Diese Orgel war 1891 vom deutschen Orgelbauer Hermann Walcker ursprünglich für die St. Petersburger Holländische reformierte Kirche am Newski-Prospekt gebaut worden. Ihre wechselvolle Geschichte ist in der Festschrift zur Übergabe der Orgel im Oktober 2007 nachzulesen. Wie es zur Restaurierung der 2005 fast nicht mehr bespielbaren Orgel kam, liest sich in diesem Heft wie folgt:

Im September 2005 besuchte der Präsident der Russischen Föderation V. V. Putin die Kapella. Während einer Besichtigung des unlängst restaurierten Konzertsaals interessierte er sich für die ungelösten Probleme. Der damalige Generaldirektor der Kapella E. E. Kolchin nannte ihm als Hauptanliegen die Restaurierung der historischen Walcker-Orgel. Der russische Präsident versprach, die für die Restaurierung erforderlichen Mittel aufzubringen und bat E. E. Kolchin, die erforderlichen Arbeiten einzuleiten. Der Präsident hielt sein Wort … Die Ausschreibung gewann die bekannte deutsche Orgelbaufirma Hermann Eule aus Bautzen (Sachsen)."

Nun hatte „Eule“ zwar bereits zu DDR-Zeiten mehrfach Orgeln in die Sowjetunion geliefert, besaß aber keine Verhandlungserfahrung bei Vorhaben im „neuen“ Russland. Auf eine Empfehlung der Handwerkskammer Dresden sollte ich deshalb dieses Vorhaben begleiten, d.h. deutsch-russisch koordinieren und moderieren. Da ich bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei Erfahrungen im Orgelbau besaß, musste ich mich in diese Materie umfassend einarbeiten und auch das deutsch-russische Vokabular des Orgelbaus studieren. Das fiel mir nicht schwer, weil der russische Orgelbau fast ausschließlich deutsche Wurzeln hat, im russischen Sprachgebrauch also meistenteils deutsche Fachbegriffe verwendet werden. Nebenbei verfügt die russische Sprache ja über eine Vielzahl aus dem Deutschen übernommener Begriffe (Butterbrot, Rucksack, Schlagbaum, neuerdings sogar – Gastarbeiter), was die vielen historischen Berührungspunkte zwischen Deutschen und Russen belegt.

Technisch und logistisch war das Vorhaben eine Herausforderung. Da die Restaurierung der Orgel aus den verschiedensten Gründen nur in Bautzen durchgeführt werden konnte, musste das Instrument in St. Petersburg demontiert, in Einzelteilen nach Bautzen transportiert und nach vollendeter Restaurierung zurückgeschafft und in der Kapella wiederaufgebaut und gestimmt werden. Dieser Prozess wurde von einem umfangreichen Schriftverkehr begleitet und von einer russischen Expertenkommission überwacht, die zu verschiedenen Arbeitsetappen, so auch zur Vorabnahme der Leistung mehrfach in Bautzen weilte. Die finanzielle Abwicklung des Vorhabens, also auch die Bezahlung der Rechnungen erfolgte durch eine russische Stiftung mit Sitz in St. Petersburg. Obwohl die Verständigung zu den damit verbundenen Formalitäten nicht immer leicht war, gab es im russisch-deutschen Geschäftsverkehr bei diesem Projekt keinerlei Reibungen oder Missverständnisse. Wie mein Beitrag von der russischen Seite eingeschätzt wurde, hat mir Prof. Kravchun, der Leiter der Expertenkommission in seinem Weihnachtsgruß 2007 so bescheinigt:

Nochmals großen Dank für Ihre Mitwirkung bei allen mit der Orgel der Kapella verbundenen Angelegenheiten, für die großartige Festschrift und für den unverwechselbaren Humor, der unsere Treffen ausgeschmückt hat."

Bis es allerdings so weit war, gab es noch viel Arbeit und einige aufregende Tage und Wochen, besonders beim Rücktransport der Orgel nach St. Petersburg und in den Wochen der Montage und Intonation durch die Fachleute von „Eule“. Unter anderem hing das damit zusammen, dass in einem Saal gearbeitet werden musste, der tags und abends durch Proben- und Konzerttermine ausgelastet war. Diese Konstellation sollte uns auch bei einem Nachfolgeprojekt, dem Neubau einer Konzertorgel für das St. Petersburger Konservatorium zu schaffen machen, zumal ein Teil des russischen Personals nur schwer zu bewegen war, während der Arbeiten im Saal, besonders beim Stimmen der Orgel absolute Ruhe zu bewahren. Auch war es nicht einfach, der anderen Seite begreiflich zu machen, dass sie es bei den hochqualifizierten Fachleuten von „Eule“ nicht mit „Betriebshandwerkern“ zu tun hatte, sondern mit Künstlern ihres Fachs, denen man in anderen Ländern aufgrund ihres hohen Könnens gewöhnlich den „roten Teppich ausrollt“. Das ging in den letzten Wochen vor der Übergabe so weit, dass sich „Eule“ entschließen musste, die Stimmung der Orgel in den stillen Nachtstunden durchzuführen. 

Es gehört zu meinen beeindruckenden Erlebnissen bei diesem Vorhaben, als ich, zu Verhandlungen nach „Piter“ gereist, kurz nach Mitternacht in die Kapella kam und dort erstmalig wieder den vollen Klang des „Königs der Instrumente“ zu hören bekam (im Russischen ist die Orgel männlich). Als die Orgel schließlich bei einem Eröffnungskonzert am 1. Oktober 2007 wieder erklang, standen besonders einem Mann die Tränen in den Augen: Der St. Petersburger Orgelmeister J. Pronzketis hatte sich jahrelang für die Erhaltung der Orgel eingesetzt und um ihre Restaurierung gekämpft. Beeindruckend war an diesem Abend auch Anne-Christin Eule, die Geschäftsführerin der „Hermann Eule Orgelbau“ GmbH. Als sie sich auf der Bühne beim Auftraggeber für die gute Zusammenarbeit bedankte, vergaß sie nicht, auch ihre Mitarbeiter zu erwähnen, die sich unter großen Schwierigkeiten mit ihrem handwerklichen Können für das Gelingen des Vorhabens eingesetzt hatten.

Ein Problem stand uns allerdings noch bevor: Nachdem „Eule“ seine Werkstatt in der Kapella aufgelöst hatte, mussten die teuren und zum Teil unersetzlichen Werkzeuge und Messgeräte wieder nach Hause gebracht werden. So standen wir also mit ca. 10 großen Werkzeugkisten vor dem Flughafen Pulkowo und fragten uns, wie wir das wohl durch den Zoll bringen sollten. Hier brauchte man wirklich Sprach- und Landeskenntnisse – und viel Glück. Also erklärte ich den Leuten einer „Feierabendbrigade“ das Problem und versprach ihnen für diese Aktion ein ordentliches Erfolgshonorar. Dafür sagte man uns zu, unsere 10 Kisten schnell und leise durch die Gepäckkontrollen zu bringen. Obwohl mir dabei nicht ganz wohl war – es soll auf diese Weise auch schon mancher Koffer auf Nimmerwiedersehen verschwunden sein – diese Mannschaft war offensichtlich ihr Geld wert, denn als wir durch die Passkontrolle kamen, stand unser Gepäck schon vorm Check-In.
Das heißt – fast, denn als wir unsere Gepäckmanager auszahlten und den Kistenberg in Empfang nahmen, entdeckte uns ein Zollbeamter und winkte uns beiseite. Jetzt gilt es, dachte ich und erklärte dem Beamten, wer wir waren und was wir in St. Petersburg getan hatten. Glücklicherweise konnte ich einen Zeitungsartikel vorweisen, der enthusiastisch die Wiedereröffnung der Orgel beschrieb. Ich hatte schon mehrmals erlebt, dass die richtigen russischen Worte eines Ausländers sogar russische Beamtenherzen öffnen können, hier erlebte ich es wieder. Der Mann ließ uns ziehen, einfach so, ohne dass wir auch nur eine Kiste öffnen mussten.

Dr.-Ing. Architekt Frieder Hofmann 
gpfhofmann@parus-le.de    

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Aktualisierung: Januar 2024 

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