FRIEDER HOFMANN I POSITIONEN I PUBLIKATIONEN I PROJEKTE

"Leipziger Volkszeitung" v. 22.01.1990

30. Geburtstag eines besonderen Plattenbaus 

Zur Geschichte des Wohnhauses Nikolaistraße 31 / Leserbrief
leicht gekürzt von J. Rometsch
in der LVZ vom 12.12.2019

Heutige Besucher der Nikolaistraße werden kaum bemerken, dass sich unter den denkmalgeschützten Häusern ein Plattenbau befindet. Die Rede ist vom Wohnhaus Nikolaistraße 31, das in diesen Tagen sein 30-jähriges Gründungsjubiläum feiert. Ein Jubiläum, das nicht selbstverständlich genannt werden kann, denn auch dieses Projekt wurde wie der gesamte DDR-Plattenbau in der Wende-Zeit heftig angefeindet. Besonders nach der 1. Leipziger Volksbaukonferenz im Januar 1990 stand die Fertigstellung des Gebäudes auf der Kippe. So schrieb die TAZ am 18.01.1990:
„Und dann stehen wir vor der Nummer 31. Plattenbau, gestapelte Wohnungen, die auf die sprichwörtliche grüne Wiese gehören … Das Haus Nikolaistraße 31 
ist nicht nur eine „Kulturschande“, es ist ein Symptom einer zerstörerischen Logik, ist der ins Stadtinnere vorgeschobene Brückenkopf der Plattenkombinate."

Es bedurfte damals sachlicher und zum Teil heftiger Diskussionen zwischen den beteiligten Akteuren – der Initiative Leipziger Architekten, des Büros des Chefarchitekten der Stadt, Vertretern der Denkmalpflege, dem Baukombinat und interessierten Bürgern der Stadt – bis man sich geeinigt hatte und in der „Leipziger Volkszeitung“ vom 22.1.1990 zu lesen war: „Nikolaistraße 31 soll Wohnhaus bleiben“ - BKL lud nach der Volksbaukonferenz zum „Runden Tisch“ / Thema: Alternative Lösungen zur Plattenbauweise im Leipziger Stadtzentrum“. Heute, nach 30 Jahren, bekommt die „Nikolaistraße 31“ positive Haltungsnoten. So heißt es u.a. im „Jahrbuch 2016“ des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen:
Trotzdem es sich um ein stattliches, 7-geschossiges Haus mit Flachdach handelt, fügt es sich behutsam in den Straßenraum ein. Können beide Leipziger Lückenschließungsbauten (im Beitrag wird ebenfalls die Ritterstraße 12 am Nikolaikirchhof erwähnt. Ho.) auch nicht mit dem gestalterischen Aufwand und der Raffinesse Ostberliner Bauten der Postmoderne mithalten,
 

Die Nikolaistraße 2019



sind sie doch eines der wenigen in der DDR entstandenen Zeugnisse einer intelligenten Adaption an die historische Umgebung und gelungene Beispiele eines ... innerstädtischen Bauens dieser Zeit in Großtafelbauweise ...“ (Nietzsche, Peker: „Architektur der jüngsten Vergangenheit und ihre Erfassung – sächsische Kulturdenkmale der 1970er- u. 1980er Jahre“ S.130 ff.)

Leider haben die damaligen Kritiker und die heutigen Macher nichts aus dem Streit um die Wende-Architektur gelernt. Denn wie wäre es sonst heute möglich, in einer Zeit, in der die Baubranche an keiner Mangelwirtschaft leidet, ohne öffentlichen Widerstand und helfende Kritik einen Hotelneubau an historischem Ort wie das „Motel One“ am Nikolaikirchhof als charakterlosen, beliebigen Zweckbau zuzulassen. 
Die Macher von damals haben weder Mühe noch Ideen gescheut, um unter den herrschenden Wende-Bedingungen (auch gegen o.g. gehässige Kritiker) eine „intelligente Adaption an die historische Umgebung“ zu erreichen*). Was man ihren Häusern offensichtlich heute noch anmerkt – und was den heutigen Bauten vielerorts fehlt – sie sind in positivem Sinne unverwechselbar.

*) Die Nikolaistraße 31 wurde vom VEB Baukombinat Leipzig (BKL) in den Jahren 1989/90 als 7-geschossiges Mittelganghaus mit Aufzug und überwiegend kleinen Wohnungen geplant und gebaut. Im Erdgeschoss befindet sich eine Gaststätte. Ein anfangs geplanter Durchgang zum Innenhof, der als Verbindung zum wieder herzustellenden „Goldhahngäßchen“ dienen sollte, wurde in der Endfassung dann leider doch nicht realisiert. 
Die Fertigteile für die Fassade des Hauses kamen wie auch die Fassadenteile für die Ritterstraße 12 aus dem Lehrwerk des BKL in der Saarländer Straße. Das Herstellungsverfahren basierte auf Erfahrungen, die den Leipziger Planern und Plattenwerkern kollegial vom Berliner VEB Stuck und Naturstein zur Verfügung gestellt worden waren. 
Mit der Demontage der "Platte" und der Privatisierung und Umstrukturierung des BKL wurde das Betonwerk in der Saarländer Straße als überflüssig angesehen und Anfang der 1990er Jahre abgerissen.

 

Nikolaistraße 6-10/ Fassadengliederung der Straßenseite / Arbeitsmodell 1990

Universitätswohnheim Ritterstraße 12 / Bau 1989/90 / Foto 2019 

Dr.-Ing. Architekt Frieder Hofmann 
gpfhofmann@parus-le.de    

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Aktualisierung: Januar 2024 

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