FRIEDER HOFMANN I POSITIONEN I PUBLIKATIONEN I PROJEKTE

Das Kollektiv der Taktstraße 1 in der Kolonnadenstraße (ganz vorn rechts: H.-J. "Uli" Böttcher; Foto 1984)

Rückkehr ins Zentrum

Aus der Moskauer „Stroitelnaya gaseta“ 
№82 vom 08.04.1989 / A. Mosgowoi Leipzig-Moskau
Deutsch von F. Hofmann (2010)

Hans-Joachim Böttcher grüßt fröhlich ein vorbei gehendes Mädchen und wendet sich dann höflich an einen gesetzten alten Herren ... „Wenn Du für das Bauen im Stadtzentrum zuständig bist - erklärt er - muss man sich als Diplomat verhalten. Denn wir bereiten den ansässigen Einwohnern nicht wenige Unbequemlichkeiten.“

Die Brigade Böttchers ist mit der Montage eines neuen Wohnhauses am Platz vor dem Schauspielhaus beschäftigt, der sich in einem der zentralen Stadtteile Leipzigs befindet. Das in der Nähe schon bis zum Dach fertiggestellte Gebäude unterscheidet sich nur wenig von der Altbebauung des vorigen Jahrhunderts. Aber: Es ist in industrieller Bauweise mit Verwendung standardisierter Bauteile errichtet worden. Natürlich wurden diese Teile „historisierend“ angepasst. Die Taktstrasse von Ralf Ullrich, zu der auch Böttchers Brigade gehört, arbeitet in diesem Stadtteil seit 1984. 

Fertiggestellt ist schon schon die Wohnbebauung am Dorotheenplatz und in der Kolonnadenstrasse. Im Herbst werden noch weitere Objekte übergeben. Das Tempo bei der Arbeit ist hoch. Im Durchschnitt wird in einer Woche ein Aufgang eines sechsgeschossigen Hauses montiert. Doch das bedeutet nicht, dass es keine Schwierigkeiten gibt. - Die Arbeitsproduktivität beim Bau von Häusern im Stadtzentrum ist etwa 20% niedriger als in den Neubaugebieten, sagt R. Ullrich. Das ist so, weil wir nicht nur aus dem Plattenwerk gelieferte Fertigteile einsetzen. Oft muss man zum Mauerwerk oder zu monolithischem Beton greifen. 

- Man darf auch nicht die Baustellenbedingungen vergessen, ergänzt Böttcher, Wir sind durch die bestehenden Nachbargebäude eingeengt. Manchmal wird es dadurch schwierig, einen Kran aufzustellen. Wie ich schon sagte, muss man den psychologischen Faktor berücksichtigen, d.h. gute Beziehungen mit den Bewohnern des Stadtteils zu unterhalten.

- Wahrscheinlich beschwert man sich über den Lärm und den unausweichlichen Dreck von der Baustelle? frage ich den Brigadier. - Den Dreck bemühen wir uns nicht breit zu tragen. Aber bezüglich des Lärms gibt es wirklich Klagen. Aber wir bemühen uns um Aufklärung. Die Hauptsache ist, sein Wort zu halten. Ich nenne ein Beispiel. Wir waren in der Beckmannstrasse tätig. Das ist eine sehr enge Ecke. Ein Autoverkehr ist fast nicht möglich. Offensichtlich haben deshalb viele Bewohner ihre Schlafzimmer nach der Straßenseite eingerichtet. Aber wir fahren vor ihnen mit dem Turmdrehkran entlang und arbeiten in 3 Schichten. D.h. ob wir wollen oder nicht schauen - wir in fremde Betten. Natürlich kamen Beschwerden. Wir haben also die Bewohner versammelt und gebeten: Bitte, haltet aus und schlaft einstweilen in anderen Räumen, aber wir versprechen euch, pünktlich nach 3 Wochen fertig zu werden und euch danach nicht weiter zu beunruhigen. Unser Wort haben wir gehalten – und damit unsere Autorität in den Augen der Anwohner verbessert.

Bis vor kurzer Zeit gab es noch ein Problem. Es lag daran, dass der Neubau im Zentrum zusammen mit der Reparatur und Modernisierung der geschützten Altbebauung durchgeführt wird. Für die Errichtung der Neubauten ist das Leipziger Baukombinat zuständig, die Sanierung verantwortet das städtische Kombinat für Reparatur und Modernisierung. Zwischen beiden entstanden zwangsläufig „Differenzen“ verschiedener Art. Um das zu vermeiden, wurde folgender Beschluss gefasst: Wenn auf einer Baustelle hauptsächlich neu gebaut wird, hat die Generalauftragnehmerschaft das Baukombinat, wenn vorwiegend saniert werden muss, ist der Generalauftragnehmer das Kombinat für Reko und Modernisierung. Das erlaubt es, die Leitung der Baustelle in einer Hand zu halten und die Bauzeiten abzukürzen...




... Die Neubauten in der Innenstadt werden auf der Grundlage der für die ganze DDR standardisierten Serie WBS 70 geplant und errichtet. Jedoch muss faktisch jedes dieser Häuser individuell geplant werden. Darüber hinaus ist es erforderlich, unifizierte Fertigteile an konkrete architektonische Lösungen anzupassen. Denn sogar die alten Leipziger Stadtteile sind im Stadtbild untereinander verschieden. Natürlich gibt es jede Menge offene schwierige Fragen. Sie zu beantworten hilft dabei inzwischen die elektronische Rechentechnik. 
Aber nicht nur sie allein. Wie kann man den „Gaul“ des industriellen Bauens und das „scheue Reh“ der schöpferischen Phantasie der Architekten verbinden? - Natürlich ist das keine einfache Sache, meint Frieder Hofmann, Chefarchitekt des Leipziger Baukombinates. – Noch vor Jahren haben wir in der Regel im Streit mit den Produktionsleuten den Kürzeren gezogen. Jetzt sehen wir größere Chancen, dabei Sieger zu bleiben. Aber nach wie vor sehen viele Produktionsdirektoren unsere Architekturabteilung als „Trojanisches Pferd“.

F. Hofmann ist Absolvent des Architekturinstituts Moskau. Unter seiner Anleitung sind 150 Architekten tätig, die komplexe Planungen für Neubaugebiete und die Einordnung von Neubauten in alte Stadtteile erarbeiten. - Komplexität und Qualität – das sind aus meiner Sicht die Hauptrichtungen unserer Tätigkeit, sagt Hofmann. Mit Qualität meine ich auch das, was man unter der Humanisierung der Stadtlandschaft versteht. In diesem Zusammenhang muss man sagen, dass die Plattenbauweise Grenzen im Hinblick auf die Qualität besitzt. Der monolithische Häuserbau hat da wesentlich mehr Vorteile. Jedoch verfügt die DDR nicht über die entsprechenden Grundlagen. Und man muss vom Machbaren ausgehen. Deshalb ist es nötig, vernünftige Kompromisse zu suchen.

Für die Suche nach solchen Kompromissen haben die Leipziger Architekten allerdings eine große Auswahl. Es reicht zu sagen, dass die örtlichen Plattenwerke in der Lage sind, etwa 3500 unterschiedliche Fertigteile zuzuliefern! Flexible Schalungen machen es möglich, schnell von der Produktion eines Elementes zu einem anderen über zu gehen. Mansarden, Erker, schwierige gebogene Konstruktionen können so individuell-serienmäßig hergestellt werden. Und dennoch ist der Chefarchitekt des Kombinates nicht zufrieden, denn im übrigen ist er überhaupt nicht geneigt, die ganze Schuld den Produktionsleuten zuzuschieben: - Die Architekten selber haben vergessen, wie man Häuser nach individuellen Vorgaben planen muss. Sie haben sich angewöhnt, nach Schablone zu arbeiten. Das ist traurig! Jetzt ist es sehr wichtig, die Architekten in der Kunst des Entwurfs weiterzubilden. Ebenso sind neue fachliche Spezialisierungen erforderlich.

Die Architekturabteilung des Kombinates entwickelt einige solcher Spezialisierungen und befasst sich auch mit der Weiterbildung im Hinblick auf die neuen, an die Fachleute gestellten Anforderungen. In diese Richtung sind auch der Architektenverband der DDR mit seinen regionalen Arbeitsgruppen tätig. - Ohne das werden wir die Stadtzentren nicht sanieren, ist sich Hofmann sicher. Doch eben in dieser Aufgabe liegt die Zukunft. Wir müssen aufhören, neue und für das Leben unbequeme Stadt-Giganten zu bauen, die außerdem auch unwirtschaftlich sind. Heute noch kommt uns der Bau von Neubaugebieten billiger als die Sanierung und Wiederbebauung von Altbauflächen. Doch diese Einschätzung ist trügerisch. Rechnen Sie nach, wie viel es kostet, neue Erschließungstrassen zu legen, neue Straßen zu bauen. Dazu die Logistik, die Versorgung dieser Stadtteile mit Waren und Lebensmitteln... Nicht zu reden von der Müdigkeit der Leute, die oft Stunden brauchen, um aus ihrer Wohnung zur Arbeit und zurück zu kommen. Nein – Neubaugebiete sind eine wenig wirtschaftliche Angelegenheit.

Offensichtlich haben die Argumente Frieder Hofmanns und seiner Kollegen nicht nur mich überzeugt. In Leipzig jedenfalls kehrt die Stadt ins Zentrum zurück.

Dr.-Ing. Architekt Frieder Hofmann 
gpfhofmann@parus-le.de    

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Aktualisierung: Januar 2024 

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