... Die Neubauten in der Innenstadt werden auf der Grundlage der für die ganze DDR standardisierten Serie WBS 70 geplant und errichtet. Jedoch muss faktisch jedes dieser Häuser individuell geplant werden. Darüber hinaus ist es erforderlich, unifizierte Fertigteile an konkrete architektonische Lösungen anzupassen. Denn sogar die alten Leipziger Stadtteile sind im Stadtbild untereinander verschieden. Natürlich gibt es jede Menge offene schwierige Fragen. Sie zu beantworten hilft dabei inzwischen die elektronische Rechentechnik.
Aber nicht nur sie allein. Wie kann man den „Gaul“ des industriellen Bauens und das „scheue Reh“ der schöpferischen Phantasie der Architekten verbinden? - Natürlich ist das keine einfache Sache, meint Frieder Hofmann, Chefarchitekt des Leipziger Baukombinates. – Noch vor Jahren haben wir in der Regel im Streit mit den Produktionsleuten den Kürzeren gezogen. Jetzt sehen wir größere Chancen, dabei Sieger zu bleiben. Aber nach wie vor sehen viele Produktionsdirektoren unsere Architekturabteilung als „Trojanisches Pferd“.
F. Hofmann ist Absolvent des Architekturinstituts Moskau. Unter seiner Anleitung sind 150 Architekten tätig, die komplexe Planungen für Neubaugebiete und die Einordnung von Neubauten in alte Stadtteile erarbeiten. - Komplexität und Qualität – das sind aus meiner Sicht die Hauptrichtungen unserer Tätigkeit, sagt Hofmann. Mit Qualität meine ich auch das, was man unter der Humanisierung der Stadtlandschaft versteht. In diesem Zusammenhang muss man sagen, dass die Plattenbauweise Grenzen im Hinblick auf die Qualität besitzt. Der monolithische Häuserbau hat da wesentlich mehr Vorteile. Jedoch verfügt die DDR nicht über die entsprechenden Grundlagen. Und man muss vom Machbaren ausgehen. Deshalb ist es nötig, vernünftige Kompromisse zu suchen.
Für die Suche nach solchen Kompromissen haben die Leipziger Architekten allerdings eine große Auswahl. Es reicht zu sagen, dass die örtlichen Plattenwerke in der Lage sind, etwa 3500 unterschiedliche Fertigteile zuzuliefern! Flexible Schalungen machen es möglich, schnell von der Produktion eines Elementes zu einem anderen über zu gehen. Mansarden, Erker, schwierige gebogene Konstruktionen können so individuell-serienmäßig hergestellt werden. Und dennoch ist der Chefarchitekt des Kombinates nicht zufrieden, denn im übrigen ist er überhaupt nicht geneigt, die ganze Schuld den Produktionsleuten zuzuschieben: - Die Architekten selber haben vergessen, wie man Häuser nach individuellen Vorgaben planen muss. Sie haben sich angewöhnt, nach Schablone zu arbeiten. Das ist traurig! Jetzt ist es sehr wichtig, die Architekten in der Kunst des Entwurfs weiterzubilden. Ebenso sind neue fachliche Spezialisierungen erforderlich.
Die Architekturabteilung des Kombinates entwickelt einige solcher Spezialisierungen und befasst sich auch mit der Weiterbildung im Hinblick auf die neuen, an die Fachleute gestellten Anforderungen. In diese Richtung sind auch der Architektenverband der DDR mit seinen regionalen Arbeitsgruppen tätig. - Ohne das werden wir die Stadtzentren nicht sanieren, ist sich Hofmann sicher. Doch eben in dieser Aufgabe liegt die Zukunft. Wir müssen aufhören, neue und für das Leben unbequeme Stadt-Giganten zu bauen, die außerdem auch unwirtschaftlich sind. Heute noch kommt uns der Bau von Neubaugebieten billiger als die Sanierung und Wiederbebauung von Altbauflächen. Doch diese Einschätzung ist trügerisch. Rechnen Sie nach, wie viel es kostet, neue Erschließungstrassen zu legen, neue Straßen zu bauen. Dazu die Logistik, die Versorgung dieser Stadtteile mit Waren und Lebensmitteln... Nicht zu reden von der Müdigkeit der Leute, die oft Stunden brauchen, um aus ihrer Wohnung zur Arbeit und zurück zu kommen. Nein – Neubaugebiete sind eine wenig wirtschaftliche Angelegenheit.
Offensichtlich haben die Argumente Frieder Hofmanns und seiner Kollegen nicht nur mich überzeugt. In Leipzig jedenfalls kehrt die Stadt ins Zentrum zurück.