FRIEDER HOFMANN I POSITIONEN I PUBLIKATIONEN I PROJEKTE

Schöner planen in der Marktwirtschaft -
das Wohnhaus Lutherstraße 13 in Leipzig

Aus: Frieder Hofmann „Die Besten in den Osten“ / Erinnerungen und Anekdoten 2014

1996 erteilte mir die Elbo Bau AG den Auftrag zur Ausführungsplanung eines Wohn- und Geschäftshauses in der Lutherstraße 13 in Leipzig-Reudnitz. Die Entwurfsplanung für die Lutherstraße stammte von einem Münchener Architekturbüro und die Elbo hatte die Ausschreibung der Bauleistungen gewonnen, weil sie das Vorhaben mit unserer planerischen Unterstützung (ich glaube, sogar im Wettbewerb gegen Bilfinger&Berger) um fast 2 Mio. DM billiger anbieten konnte. Was die Konkurrenz in Erstaunen versetzte, erreichten wir durch profunde Ortskenntnis, da uns bekannt war, dass das Baugebiet unter einem hohen Grundwasserstand litt. Alle Investoren aus dem Westen, die nach 1990 im Umfeld des Leipziger Hauptbahnhofs bauen ließen, waren damals zur Änderung ihrer Pläne gezwungen, weil ihre Baugruben im Frühjahr regelmäßig voll Wasser liefen und sie enorme Kosten für die Grundwasserhaltung aufwenden mussten.
Wir brauchten das nicht, denn wir konnten uns auf die Ortskenntnis eines Leipziger Baugrundingenieurs stützen, der sich genau in den Baugrundschichten seines Reviers auskannte. Um aufwendige Gründungsverfahren zu umgehen, empfahl er, eine über dem Grundwasser gelagerte wasserhaltende Lehmschicht nicht anzurühren. Für die Objektplanung hieß das, die Baugrube möglichst flach zu gestalten, auch wenn uns das dazu zwang, die ursprünglich von den Münchener Entwerfern konzipierte Tiefgarage neu zu planen. Die Rechnung ging auf und die Elbo Bau AG erhielt den Zuschlag, weil sich unsere Garagenlösung nicht nur kostengünstiger, sondern auch benutzerfreundlicher als die Entwurfslösung aus München erwies. So geht innovatives Denken, für das man uns, wie wir es sahen, zu Recht mit dem o.g. Auftrag belohnte.

Zurück auf "LOS". Learning by doing in der Nach-"Wende"-Zeit

Dazu eine Randbemerkung. In den 90er Jahren war es gang und gäbe, dass westdeutsche Bauherren bei ihren Bauvorhaben in den neuen Bundesländern mit ihnen bekannten westdeutschen Architekten und Ingenieuren zusammenarbeiteten. Für "ihre" Objekte wurden sie mit der Entwurfsplanung beauftragt, während ortsansässige (ostdeutsche) Planer bestenfalls die Werkplanung übernehmen durften. Für die westdeutschen Planungsbüros war das nach dem damals gültigen Honorarrecht recht lukrativ, denn für ihre vergleichsweise unkomplizierten Entwurfsleistungen erhielten sie die gleichen 50% Honoraranteile zugesprochen wie wir "Ostler" für eine viel umfangreichere und verantwortungsvollere Werkplanung. Im Hinblick auf neue Baustoffe und Detaillösungen lernten wir dabei zwar eine Menge,  „honorarmäßig“ rechnete sich das für uns aber nicht, zumal die Leistungen ostdeutscher Architekten nach den gesetzlichen Vorschriften nur mit 70% der West-Honorare in Rechnung gestellt werden durften. Von den Einheits-Politikern als Konkurrenzvorteil für den Osten angedacht, kam es bei dieser Arbeitsteilung zu Informationsverlusten im Planungsablauf und zu Fehlern und Missverständnissen bei der praktischen Umsetzung. Mehr noch: Nicht selten gab es „böses Blut“, weil die Entwurfsplaner aus dem Westen ihren Ostkollegen den Vorwurf machten, ihre tollen Planungsideen nicht werkgetreu am Bau umgesetzt zu haben. 

Geschichten vom Herrn K.

Die Finanzierung des Bauvorhabens „Lutherstraße“ erfolgte durch eine Tochtergesellschaft der Dresdner Bank. Als Bauherr zeichnete eine Objektgesellschaft verantwortlich, die vom Geschäftsführer eines Planungs- und Beratungsunternehmens aus Bremen, nennen wir ihn Herrn K., vertreten wurde. Mit ihm hatte ich zu tun, wenn es um die Abstimmung von Plänen und Details ging. Für die Bauausführung war als Generalunternehmer die Elbo zuständig. Das klappte besser als anfangs befürchtet, denn wir hatten ein gemeinsames Ziel, für das wir im Interesse eines zügigen Baufortschritts schnell eine gemeinsame Sprache finden mussten. Von Vorteil war, dass sich K. nicht in baufachliche Fragen einmischte, was ihn nicht hinderte, bei der Auswahl von Fußbodenbelägen, Fassadenfarben und Badewannen seinen privaten Geschmack durchzusetzen. Nun – damit konnte ich leben, denn im Gegenzug wurden meine Rechnungen stets pünktlich beglichen. Dafür musste ich akzeptieren, dass er einen seiner Bremener Freunde z.B. für die Farbgestaltung der Fassaden ins Geschäft brachte. 
Herr K., ein Mann um die 60, präsentierte sich gern in der Öffentlichkeit und kam stets elegant und modisch gekleidet auf die Baustelle. K. sah sich als ein Mann der Tat und einer seiner beliebten Wahlsprüche war: Man muss uns nur machen lassen! Als Mann der Tat sah er mich wohl auch, was er mir zum ersten Mal zu verstehen gab, als ich ihn im Leipziger Freitag-Nachmittag-Stoßverkehr (auf Partisanenwegen) pünktlich zum Flughafen brachte, damit er seinen Wochenendflieger nach Mallorca nicht verpasste. 

K. verfügte über einen breiten Bekanntenkreis, den er für alle möglichen Anfragen und Anbahnungen nutzte und der sich 1997 zu einem „Freundeskreis der Deutschen Wirtschaft“ konstituierte. Diese Runde veranstaltete jedes Jahr im März ein Treffen, das mit einer Wanderung von ca. 100 schwarzgekleideten Herren (nur Herren!) über die Weserdeiche begann und bei einem Pinkel-und-Kohl-Essen in einem Gasthof am Zielpunkt der Wanderung gipfelte. Dabei wurde ein mit Schnaps beladener Bollerwagen mitgeführt, der nach und nach am Ende der Kolonne landete. Es mag auch am Schnaps gelegen haben, dass es dort am lustigsten war, jedenfalls trafen die kreativsten Köpfe der Prozession erst im Saal ein, als dort die Festreden begonnen hatten. Der Teilnehmerkreis änderte sich von Ma(h)l zu Ma(h)l, was wohl mit den wechselnden Geschäftspartnern der Beratungsgesellschaft zusammenhing. Mehrmals verschob sich auch der Veranstaltungsort des Treffens, und so wanderte und tafelte man in Bayern, Thüringen und sogar in Russland. Ich lernte, mich in diesem Kreis frei zu bewegen und meine eigene Kontaktfreudigkeit an mir unbekannten Leuten zu erproben. Außer Spesen ist dabei leider nicht viel mehr gewesen, allerdings brachte mich eine von K. vermittelte Bekanntschaft mit einem seiner „Spezis“ auch schon mal vors Amtsgericht. Hintergrund: Der "Spezi" hatte, als es um die Honorarzahlung ging, die Genehmigungsfähigkeit meiner Planung angezweifelt. Vor Gericht bekam ich zwar Recht, Geld sah ich trotzdem nicht, weil der „Spezi“ mit seiner Firma Insolvenz anmeldete. Geschäftlich und menschlich gesehen war dieser Mann also ein Reinfall, was K. aber, charakterlich eher das Gegenteil, nicht als Hindernis sah, trotzdem mit ihm immer wieder Geschäfte zu machen. Hier hätte wohl ein weiterer K.'scher Sinnspruch gepasst: Das tut man einfach nicht!

Nun, unser Einsatz am Bauvorhaben „Lutherstraße“ war jedenfalls erfolgreich. Unsere sorgfältige Planung und die termingerechte Belieferung der Baustelle mit Zeichnungsunterlagen garantierten einen ungestörten Bauablauf. Das Richtfest konnte termingerecht mit Bier und Dixieland-Musik gefeiert werden. Ich hielt eine kurze Rede und bekam viel Beifall, als ich mein dem freudigen Anlass entsprechend bedrucktes T-Shirt auszog und es K. mit den Worten überreichte, dass ich nun mein letztes Hemd für den Bauherren hergegeben hätte. K.'s Gegengeschenk konnte sich allerdings sehen lassen: In den Folgejahren erhielt ich zu Weihnachten aus Bremen regelmäßig eine Kilopackung Räucherlachs.

Zweimal Bremen - Dubna und zurück

2006, als ich bereits als Berater an der Wolga tätig war, kam ich durch K.'s Verbindungen nach Russland mit einem Vorhaben in Dubna in Berührung. Dubna war 2005 eine Gartenstadt mit ca. 60.000 Einwohnern. Sein internationales Renommee begründete der Ort auf das in den 30er Jahren errichtete Atomforschungszentrum. Um dieses herum war eine kleinteilige, mit sehr viel Grün durchsetzte villenartige Siedlungsbebauung entstanden. Malerisch an der Wolga, dem riesigen Wolga-Stausee und dem von deutschen Kriegsgefangenen gebauten Moskwa-Wolga-Kanal gelegen, ist Dubna ein ideales Freizeit- und Erholungsgebiet. Leider verfügte die Stadt nur über ein schlecht ausgebautes Straßennetz und ein kleines Hotel. Über seine weitverzweigten Kontakte hatte K. irgendwann Bekanntschaft mit dem Bürgermeister von Dubna geschlossen und ihm versprochen, ihn bei der Abstellung dieses Defizits behilflich zu sein. Das hatte bisher wohl noch nicht richtig geklappt, aber inzwischen gab einen Masterplan der Regierung, der für Dubna die Errichtung einer Sonderwirtschaftszone vorsah. Bei der Stadtverwaltung erhoffte man sich davon nicht nur eine Verbesserung der Verkehrsverbindungen, sondern auch die Errichtung neuer Wohnkomplexe, Hotels, Konferenz- und Freizeiteinrichtungen. Zur Realisierung hatte man, salopp gesagt, drei Geldquellen ins Auge gefasst - den Staat, den russischen Oligarchen Jevtuschenkov mit seiner Finanzholding AFK „Sistema“ und last not least ausländische Investoren für den Hotel-, Konferenz- und Freizeitkomplex. Cherr K., übernehmen Sie!

Der Rest ist schnell erzählt: Ich reiste mit K. nach Dubna, wo wir unter der Aufsicht der Stadtverwaltung mit der Geschäftsführung von „Dubna-Sistema“ verhandelten. Das war nicht einfach, denn der Generaldirektor von “Sistema“ erwies sich als junger arroganter Schnösel, dessen Mitarbeiter sich nach einem unserer Treffen bei uns erleichtert bedankten, dass wir bei unseren Besprechungen diplomatische Zurückhaltung und Besonnenheit gezeigt hatten. K., der kein Wort russisch sprach, traf sich mit dem Bürgermeister und einer früheren Bekannten, einer exotischen Schönheit, die er zu gegebenem Anlass wohl auch schon in Bremen herumgeführt hatte. Für den neuen Standort des Konferenzzentrums am Lebyashe-See erarbeitete ich einen Planungsvorschlag, der neben einem Freizeit- und Konferenzhotel ein Freizeitbad und eine Marina am Moskwa-Wolga-Kanal vorsah. Geplant war, diesen Komplex autark mit erneuerbaren Energien zu betreiben, um damit ein Modellvorhaben zur Nutzung erneuerbarer Energien in Russland zu schaffen. Leider scheiterte dieses attraktive Vorhaben, denn wie später bekannt wurde, hat sich „Sistema“ bei der Realisierung des Vorhabens nur die "Rosinen" aus dem Programm der Sonderwirtschaftszone herausgesucht. Der Komplex am Lebyashe-See stand nicht auf der Liste. Danach trennten sich unsere Wege. K. verstarb 2015 in Bremen im Alter von 78 Jahren.
 

Dr.-Ing. Architekt Frieder Hofmann 
gpfhofmann@parus-le.de    

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Aktualisierung: Januar 2024 

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